Afghanistan

Afghanistan - Save me (from) my friends

Wir schreiben das Jahr 2001 und sind aufgerufen, uns Gedanken zu Afghanistan zu machen.

Gerne, denn mich bewegt´s. Ich verbrachte dort eine wichtige Zeit meines Lebens. Sah die medial mit Inbrunst verteidigten Buddha-Statuen in Bamyan in natura. Vier Sommer lang immer wieder. Arbeitsbedingt. Ethnologische Studien in ebendieser Region.

Auch ich war sehr beeindruckt. Zum einen von den Menschen und ihrer damaligen Kultur. Zum anderen von den Buddha-Statuen und nicht zu vergessen, den vielen Höhlenwohnungen im Tal. In buddhistischer Zeit erlebte Bamyan vermutlich eine enorme kulturelle Blüte. Der Ort muss eine Bilderbuch-Idylle gewesen sein.

In den Siebziger Jahren war dies nur noch zu erahnen. Mit der Pracht war es nicht mehr weit her. Statuen und insbesondere die leichter zugänglichen Höhlenwohnungen waren in den Jahrhunderten muslimischer Herrschaft nachhaltigst devastiert worden. Dennoch, etwas von dem Flair war geblieben. Man spürte den Hauch des Besonderen. Dazu kommt, dass das Bamyan-Tal eines der fruchtbarsten weit und breit ist. Der über 5000 m hohe Koh-e-Baba liefert im Frühjahr genug Schmelzwasser und garantiert ungewöhnlich hohe Ernteerträge. Auch das ist besonders. Und die Buddha-Statuen spendeten dieser relativen Üppigkeit einen würdigen Rahmen.

Der zog anno dazumal reichlich Touristen an. Individualreisende 68-er Freaks genauso wie Pauschalreisende. Letztere wurden von Reisebüros aus Kabul nach Bamyan gekarrt. Dieses Business war fast ausschließlich in den Händen einer westlich orientierten Kabuler Oberschicht. Ethnisch meist paschtunischer oder tadschikischer Provenienz. In Sachen Religion Sunniten (soweit sie überhaupt an irgendwas glaubten, außer an Geld). Sie bauten Hotels in Bamyan und Band-e Amir und wickelten die Geschäfte sehr zur Zufriedenheit ihrer Kunden ab.Afghanistan praktizierte einen überaus liberalen Islam, in Kabul gab es eine kleine christliche Kirche und das Land präsentierte sich weltoffen und friedlich.

So auch in Bamyan. Doch unter der Oberfläche brodelte es. Die örtliche Hazara-Bevölkerung, ethnisch turko-mongolischen Ursprungs, religiös imamitische Schiiten mit spirituellen Führern in den schiitischen Zentren des Irak und des Iran, fühlte sich zu Recht über den Tisch gezogen. Der Profit zog an ihr vorbei wie eine fremde Karawane, die dreist und überheblich durch das eigene Dorf stapft und danach die bewässerten Feldflure zertrampelt. Die verhasste einheimische Elite, die für mehr als 200 Jahre andauernder Repression verantwortlich gemacht wurde, demonstrierte Ihren Wohlstand, machte sichtlich viel Geld und ließ bis auf vereinzelte Tagelöhne nichts zurück. Das Geschäft mit den Buddhas brachte der örtlichen Bevölkerung außer einer empfindlichen Verteuerung der Lebenshaltungskosten so gut wie nichts. Eines Tages fand man am Kopf des einen Buddhas einen Touristen mit durchgeschnittener Kehle. Grausame Symbolhandlung mit Warnungseffekt.

Der Sturz des Königs und die nachfolgende Putsch-Serie hat sukzessive alle verfügbaren Eliten des Landes verbraucht, auf die Straße gesetzt und wer es sich leisten konnte ist außer Landes gegangen. Die Staatsmacht hatte sich selbst diskreditiert. Einmarsch der Sowjets. Freiheitskampf “des afghanischen Volkes” (also von etwas, was es in seiner Heterogenität nicht gab), Aufrüstung der unzähligen Widerstandsgruppen mit arabischen Erdölgeldern und westlicher Waffentechnologie. Krieg als Dauerzustand. Erst gegen einen nationalen Feind, dann zwischen den großen Widerstandsgruppen, den kleineren, den einzelnen Patronagesystemen, Volksgruppen und nicht zuletzt gegen das bisschen Etwas, was von der Staatsmacht übergeblieben war.

Zwei Generationen von Männern, die außer Töten nichts mehr gelernt haben, gefangen im Kreislauf der Gewalt, dem kulturspezifischen und bisweilen mörderischen Diktat von Loyalitätsverpflichtungen und Ehrerhaltung hinterherhechelnd wie Mäuse in Laufrädern. Für die klassischen traditionellen Konfliktlösungsmechanismen war dieser aus allen Fugen geratene Bürgerkrieg einige Nummern zu groß.

Das Aufkommen der Taleban brachte eine für westliche Beobachter unerwartete Erfolgserie. Die von den permanenten Kriegshandlungen ausgehöhlten Menschen sehnten sich nach Frieden. Jahrelang hatte man sich auf keine politische Führung einigen können. Immer standen dem ideologische und personelle Rivalitäten entgegen. Mit den Taliban gelang es – wie fragwürdig die Interpretation auch sei – sich auf islamische Wurzeln als Basis zu einigen und auf der Basis eines religiösen Fundamentalismus sämtliche, dem Frieden entgegenstehenden islamisch-politischen Gruppierungen und personalen Netzwerke zu diskreditieren und zu entmachten. Eine eminent wichtige ideologische und strategische Grundlage für die Wiederherstellung des Friedens, die Restaurierung einer Staatsgewalt und die Wiedereinführung allgemein verbindlicher Gesetze. Auch wenn wir Westler diese abscheulich finden. So inakzeptabel viele der von den Taliban vertretenen Werte sind (auch und insbesondere aus der Tradition einer mystisch-muslimischen Sichtweise), so sehr waren die Taliban vermutlich eine Notwendigkeit für das Land, dem der Konsens und die modernen Bildungseliten abhanden gekommen war.

Wir wissen, dass das gesellschaftliche Ideal der Taliban für Frauen alles andere als erfreulich ist.  Aber 25 Jahre Bürgerkrieg, in denen Sie die Hauptlast zu tragen hatten, waren das noch viel weniger. Sie waren es, die ihre Krieg spielenden Männer ersetzen, mit dem Leid verstümmelter und sinnlos gestorbener Männer leben und hungrige Kinder großziehen mussten. Für sie hat der Frieden Priorität. Selbstverwirklichung ist ein Wort, welches es im Sprachschatz der vielen Sprachen Afghanistans nicht gibt – weder für Männer, noch für Frauen. Eine Befriedung des Landes und die Wiedereinführung ziviler Strukturen ist das Gebot der Stunde. Die Taliban sind scheints die einzigen die das können. Und auch sie werden irgendwann von der Geschichte eingeholt werden.

Und die Buddha-Statuen. Ach ja. Kulturelles Erbe der Welt. Von der hat man nach 25 Jahren Bürgerkrieg in Afghanistan keine gute Meinung. So wenig wie zu essen. Es fehlt an allem. Vor allem an der satten Zufriedenheit, mit der man sich zum Schützer eines kulturellen Welterbes aufspielen kann, das die Bevölkerung dieses Landes kaum interessiert. Ein Erbe, an dem sich aber eine Differenz zur Norm gewünschter Denkmuster festmachen läßt. Wenn man will. Und die Taliban-Führung scheint zu wollen. Auch wenn es schwachsinnig ist, die ohnehin längst verstümmellten Statuen weiter zu zerstören.

Afghanistan ist nach dem Abzug der Sowjets für die Welt uninteressant geworden. Kein Marshall-Plan. Keine Minenräumkommandos. Nichts. Wozu auch? Was gibt es da zu holen? Ach ja, da war noch was: Kulturgeschichte. Scheiß drauf. Nach dem Leid der letzten Jahrzehnte bräuchten die Menschen seitens unserer politischen Führung ein großzügiges Angebot, vor allem für wirtschaftliche und medizinische Hilfe. Feinfühlig und mit Respekt vor ihrer muslimischen Kultur. Ob uns deren Ausprägung passt oder nicht. Die Welt hätte dann zwar ein paar Kulturdenkmäler verloren, aber Millionen von Menschen – und damit vielleicht sogar kulturgeschichtlichen Relikten – eine Chance gegeben.

Schreibe einen Kommentar